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49.Two-Oceans-Marathon, Kapstadt, 31. März 2018

16.04.2018 Laufbericht
49.Two-Oceans-Marathon, Kapstadt, 31. März 2018

Hilde Fässler

Es ist Karsamstag, 6.25 Uhr, noch dunkel. Um mich herum sind viele Menschen, von denen ich aber nur einen wirklich kenne, Beni, Bernhard Vögeli. Mein Puls ist hoch, die Anspannung ist greifbar, auch die Vorfreude. Dann ertönt aus den Lautsprechern eine Melodie. Es ist die südaf-rikanische Nationalhymne. Viele singen mit. Noch mehr berührt mich aber das zweite Lied. Es ist «Shosholoza», das nicht nur über die Lautsprecher erklingt, sondern tausendfach aus den Keh-len rundherum. Fast bekomme ich Gänsehaut. Es ist ein Lied ehemaliger schwarzer Bergarbei-ter und bedeutet in isiZulu «mutig nach vorne schauen». Nun ist es genau 6.30 Uhr und ein Ka-nonenschuss durchbricht die beginnende Dämmerung. Ja, ich bin da, in Kapstadt, am Start des Two-Oceans-Marathon, dem Anlass, auf den hin ich seit vier Monaten trainiert habe, ob im Schneetreiben oder bei Gegenwind, 750 Kilometer. Nun wird sich zeigen, ob das genug war. Immerhin warten nicht 42.2km auf alle hier, sondern 56km und rund 550 Höhenmeter.

  Die Startkanone wird abgefeuert.

Am Mittwoch, 28. März sind Peter, Beni und ich kurz vor Mitternacht in Zürich Richtung Südafri-ka abgeflogen. Nach dem Umsteigen in Johannesburg kommen wir am Donnerstag Nachmittag in Kapstadt an. Dort holen wir zusammen mit den anderen Läuferinnen und Läufern unserer Rei-segruppe im Convention-Center unsere Startnummern ab. Vor dem Eingang hat sich eine wie mich dünkt hundert Meter lange Schlange gebildet. Geduldig und ohne Drängeln warten da wohl ein paar tausend Laufwillige auf Einlass. Als Ausländer haben wir das Privileg, direkt in die Halle zum Startnummernschalter gehen zu können. Nach einer guten halben Stunde haben wir alle unsere Startnummer, den Zeitmesschip, das Finisher-T-Shirt und ein paar kleine Geschenke in unserem Bag.



Den Freitag verbringen wir mit Ausschlafen, einem Besuch bei Nick Bester, dem Comrades-Sieger von 1991, wo wir für Jasmin Nunige ihre Goldmedaille des Comrades-Laufs 2017 (sie wurde Vierte und verpasste wegen der Doping-Kontrolle die Medaillen-Verteilung) abholen und nochmal einem kurzen Abstecher in die Marathon-Expo.

Im Hotel essen wir abends selbstverständlich Pasta und alle gehen früh ins Bett. Mein Wecker läutet um 3.30 Uhr. Ich esse das vor einem Lauf Übliche im Zimmer. Beni hat sich im Hotel ver-köstigt. Um 4.20 Uhr werden wir mit einem Bus abgeholt und ins Startgelände gefahren. Wir müssen aber noch ein rechtes Stück spazieren, bis wir in unseren Startsektoren ankommen. Ich kann mir nicht merken, wo wir durchlaufen. Zum einen ist es noch stockdunkel, zum anderen bin ich sehr nervös. Ich bin froh, dass ich Beni und Stephan aus unserer Reisegruppe an meiner Seite weiss. Wir drei werden alle im hintersten Block starten. Beim Two-Oceans-Marathon gibt es nicht nur wie bei allen grossen Läufen verschiedene Startblöcke, sondern auch verschiedene Medaillen. Die ersten zehn erhalten eine goldene, wer unter 4h läuft eine silberne, unter 5h gibt es die Sainsbury-Medaille, unter 6h die bronzene und wer zwischen 6 und 7h braucht, eine blaue. Die zu erhalten ist mein Ziel.

Da wir auch hinten eine Startnummer tragen und jene für die Ausländer eine andere Farbe hat, werde ich mehrfach von Überholenden angesprochen, woher ich käme. Bei einem solchen Ge-spräch sagt mir die Läuferin, die Strecke sei sehr schön, doch die Schwierigkeit sei, dass alle Anstiege erst in der zweiten Hälfte lägen. So ist es dann auch… Auf den Startnummern ist auch notiert, wie oft man schon teilgenommen hat. Auch die Anzahl geschaffter Halbmarathons - das kann man hier auch laufen – ist notiert. Ich weiss, dass es für mich bei einer einzigen Teilnahme bleiben wird.

Wir haben alle einen Chip am Schuh, doch die Startzeit wird nicht gemessen. Ich gucke nach dem Startschuss auf die Uhr und bin nach etwa zweieinhalb Minuten bei der Startlinie. Hoffent-lich fehlt mir diese Zeit am Schluss nicht.

  Es geht los!

Der erste Abschnitt führt durch Kapstadt und ist nichts Besonderes. Zum Glück ist es noch nicht ganz hell. Die Temperatur ist sehr angenehm, wohl etwas über 10o. Alle paar Kilometer gibt es flüssige Verpflegung, Wasser, Isotonisches und Cola. Insgesamt gibt es 26 Verpflegungsstellen. Das Wasser und den Iso-Drink erhält man in kleinen Beuteln, die man am besten mit dem Eck-zahn aufbeisst und sich dann in den Mund spritzt. Das klappt bestens und die Beutel lassen sich ungeöffnet auch gut noch ein Stück weit mittragen.

Nach rund 16 Kilometern kommt man bei Muizenberg erstmals ans Meer. Ein toller Anblick. Hier ist es der indische Ozean. Da läuft es sich noch ganz locker… Über Fishhoek und Kalk Bay er-reicht man bei km27 Noordhoek. Bis hierher ist Strecke ziemlich flach, etwas coupiert. Aber nun kommt der erste Anstieg bis zum Chapmans Peak bei km34. Die Strecke ist wunderschön, mit sensationellem Blick von der Steilküste hinunter aufs Meer; hier ist es der Atlantik. Die Aussicht und die Musik-Gruppe am höchsten Punkt entschädigen für den anstrengenden Aufstieg mit den nicht mehr ganz so fitten Beinen.

  
Am Chapmans Peak

Beim Hinunterlaufen Richtung Hout Bay vergällt mir dann ein starker Gegenwind die Freude an den eigentlich lockeren Kilometern. Bei km40 stehen Peter und die anderen Begleitpersonen aus unserer Reisegruppe. Eigentlich hätte ich hier schon genug, aber ich werde motiviert und ange-feuert und laufe selbstverständlich weiter.

  Unsere Begleiterinnen und Begleiter


Nicht alle haben sich gut vorbereitet und so erleben sie eine böse Überraschung: Es gibt noch-mals einen Aufstieg, der sogar noch höher hinaufführt als der erste. Ich nehme mein Tempo spürbar zurück, bekomme aber nach Constantia Neck starke Krämpfe, vor allem im rechten Oberschenkel. Dabei habe ich nach jeder Stunde ein Gel hinuntergewürgt. Jetzt geht gar nichts mehr. Und so verliere ich nun auch noch den 7h-Pacemaker aus den Augen. Zum Glück gehen die Krämpfe doch vorbei und ich kann zuerst wieder gehen und dann auch wieder joggen. Beim botanischen Garten von Kirstenbosch ist es auch auf der Strasse schön schattig, denn Mittag ist schon vorbei und die Sonne wärmt. Ein Blick auf meine Uhr zeigt, dass alles möglich ist, nämlich dass ich das Ziel unter 7h erreiche, aber auch, dass ich es knapp verpasse. Zwei, drei Kilometer vor dem Ziel – leider habe ich die Kilometertafeln praktisch alle verpasst und weiss nie so genau, wie weit ich schon bin – kommt plötzlich Beni von hinten, überholt mich und ruft mir zu, dass mit etwas Beeilung die 7h für uns zu knacken wären. Und schon ist er weg. Aufs Tempo drücken kann ich nicht mehr, aber es gelingt mir, nicht mehr zu marschieren, sondern durchzujoggen. Es geht jetzt zum Glück abwärts. Und siehe da, nach einer grossen Linkskurve sehe ich das Zielge-lände vor mir und die Uhr steht auf 13.23 Uhr. Also ein letzter Effort, ein Lächeln aufgesetzt und mit einem Winken zu Peter und den anderen Unterstützern laufe ich ins Ziel – mit einer Reserve von genau 3 Minuten! Beni hat es eine knappe Minute vor mir auch geschafft. Und so lassen wir uns die blaue Medaille umhängen und sind zuerst einmal einfach kaputt, aber glücklich.

  Geschafft!

Hinter uns wird knallhart um 13.30 Uhr das Ziel geschlossen. Wer auch nur eine Sekunde zu spät kommt, wird nicht registriert und bekommt auch keine Medaille. Und das bei einer Brutto-Zeitmessung.

Am Abend gehen wir alle zusammen zum Feiern in ein gutes Restaurant bei perfektem Sonnen-untergang. Die Stimmung ist super, denn alle haben es geschafft. Dass Dreiviertel unserer Gruppe in der Nacht auf Sonntag wegen Durchfalls auf der Toilette gesessen haben, ist dann eine andere Geschichte. Die Reise nach Kapstadt hat sich aber sehr gelohnt und der Lauf wird mir eindrücklich in Erinnerung bleiben.

  Es darf gefeiert werden.

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